Haben Sie auch den Eindruck, dass das Fest des heiligen Stephanus in den Weihnachtsfeiertagen irgendwie so gar nicht hineinpasst. Zu Weihnachten, da geht es doch darum, dass Jesus zur Welt gekommen ist, da klingen die Begriffe kleines Kind, Engeln, Erlösung, Freude und Friede. Die heutige Lesung will da gar nicht hineinpassen.
Die heutige Lesung ist dann noch dazu nur ein kleiner, stark zusammengekürzter Text. Wenn wir die ganze Geschichte lesen, kommt es noch schlimmer.
Wir haben heute davon gehört, wie Stephanus angeklagt wird, und seine Rede sorgt dann für richtig große Aufregung im Hohen Rat, die dann sogar zu seinem Tod führt.
Aufgrund des gekürzten Textes könnten wir vermuten, dass bei dem Wort „Rede“ ein allgemeines, geisterfülltes Sprechen gemeint ist, mit dem Stephanus sich verteidigt, und das betrifft uns heute eigentlich gar nicht mehr. Dem ist aber nicht so.
Wer nämlich den ganzen Text aus den Kapiteln sechs und sieben der Apostelgeschichte liest, und das kann ich nur empfehlen, weiß um die Provokation, die Stephanus da dem Hohen Rat zumutet. Was hat er gesagt?
Der erste Eindruck ist, dass Stephanus einfach die Geschichte Israels erzählt: beginnend bei Abraham, erklärt er mit der Geschichte von Josef und seinen Brüdern, wie Israel nach Ägypten kam, um dann wieder auszuziehen und unter der Führung von Moses durch die Wüste in Richtung Kanaan wanderte. Die Erzählung endet schließlich mit Könige David und König Salamon. Stephanus beweist zumindest, dass er die heiligen Schriften kennt. Wo ist jetzt also das Problem für den Hohen Rat?
Wenn wir genauer lesen, bemerken wir, dass die entscheidenden Stationen der israelischen Geschichte immer etwas mit Bewegung zu tun haben: Abraham folgte dem Ruf Gottes, und war sein ganzes Leben lang unterwegs. Die Söhne Israels pendelten mehrmals zwischen Kanaan und Ägypten, um zu leben. Und schließlich das zentrale Ereignis des Volkes Israel, der Auszug aus der Sklaverei in Ägypten mit anschließender Wanderung durch die Wüste. Und Gott war immer dabei. Wen Gott berief, den ließ er nicht allein.
Und als sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes trugen die Israeliten das Bundeszelt mit sich. Je nach Bedarf konnte es aufgebaut und abgebaut werden, und es war daher trotz ständiger Wanderschaft immer im Zentrum des Volkes. Dazu vielleicht eine Nebenbemerkung: Dieses Bundeszelt diente auch als Vorlage für unsere Kirche.
Diese Mobilität hat viel mit Freiheit zu tun. Es gab zwar verschiedene Aufgaben und ausgewählte Männer übernahmen Verantwortung, aber im Grunde waren alle frei und allein durch ein bewusstes persönliches „Ja zu Gott“ war jede und jeder Teil des Volkes.
Das hört dann leider auf, als man in Jerusalem seßhaft werden wollte. Ein Tempel wurde errichtet, der sich zum Zeichen der Macht entwickelte. Macht, die zu Versklavung, Militarisierung und Ausgrenzung führt; Macht, die einigen wenigen ermöglicht, über viele zu herrschen.
Und diese Macht haben Jesus, als auch Stephanus in einer Schärfe kritisiert, die von den Gewinnern und Profiteuren dieser Strukturen nicht toleriert werden konnte. Diese Kritik war gefährlich für das bestehende Herrschafts system, enttarnte sie doch sämtliche Legitimation aus der Geschichte und der Heiligen Schrift als Fälschung und Betrug. Das musste mit aller Strenge unterdrückt werden.
Das zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche als pilgerndes Volk Gottes beschrieben, ein Bild, das mit viel Bewegung zu tun hat, und ein Bild, das Hoffnung und Freude gibt, den das Ziel der Pilgerschaft ist Gott. Leider können wir aber beobachten, dass heute Bischöfe, Priester, Diakon und auch Laien da lieber nicht mitgehen möchten. Es gibt Menschen, die mauern sich lieber in ein ganz bestimmtes Gedankengebäude ein, als dass sie sich gemeinsam mit ihren Mitmenschen aufmachen, um Gott zu suchen. Und im schlimmsten Fall sperren sie andere auch noch mit ein, und vertreiben die, die sie zum Mitgehen einladen, so wie Stephanus die jüdischen und hellenistischen Gemeinden.
Schwestern und Brüder im Herrn! Von Beginn an wird in der Bibel beschrieben, wie Menschen, die erfüllt sind vom Heiligen Geist, dem Ruf Gottes gefolgt sind und Altes hinter sich gelassen haben. Auch Stephanus suchte Gott und hat dazu eingeladen, den neuen Weg, die Nachfolge Christi zu wagen. Heute sind wir als einzelne, als Pfarre, Diözese und Weltkirche eingeladen, uns immer wieder aufzumachen, aufzustehen, wir sind eingeladen, uns immer wieder neu zu orientieren und Neues zu wagen, um Gott zu suchen, der Neues gewagt hat und für uns Mensch geworden ist.