Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
Es gibt Texte in der Bibel, die uns heutzutage ordentlich aufregen. Einige Passagen aus dem Brief des hl. Apostels Paulus an die Epheser regen besonders die Frauen auf. Da haben wir doch glatt gehört: „Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter, denn der Mann ist das Haupt der Frau.“ Und: „Die Frauen sollen sich in allem den Männern unterordnen.“
Lieber Paulus! Was hat dich dazu bewogen, so etwas zu schreiben? Wir Menschen des 21. Jahrhunderts können nicht verstehen, wieso dein Bild von den Frauen so negativ ausfällt. Du hast doch im Brief an die Galater einen ganz anderen Ton angeschlagen. Da schreibst du: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich, denn ihr alle seid eins in Jesus Christus.“ Bravo Paulus, das gefällt uns schon viel besser! Warum hast du im Epheserbrief ganz anders geschrieben?
Da könnte uns der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide weiterhelfen. Er sagt: „Entweder nehme ich die Bibel wörtlich oder ich nehme sie ernst.“ Eine wörtliche Leseart scheidet für uns aus. Wenn wir sie ernst nehmen, bedeutet das: Welche Einflüsse haben das damalige Frauenbild geprägt? Das antike Frauenbild spielt in dieser Bibelstelle eine große Rolle! Paulus, du bist halt doch ein Kind deiner Zeit. Du hast dir die Stellung der Frau nicht anders vorstellen können.
Solche und ähnliche Textstellen sind kein Beleg dafür, dass die Frau eine untergeordnete Rolle in der Kirche spielt und dass sie keine kirchlichen Leistungsämter ausüben darf. Heute haben wir ein anderes Bild von der Frau. Frau und Mann stehen auf gleicher Augenhöhe. Viele Christen könnten sich heute vorstellen, dass es Diakoninnen oder Priesterinnen gibt. Dass Jesus nur Männer als Apostel ausgewählt hat und deshalb nur Männer in der Kirche Ämter übernehmen dürfen, gilt heute nicht mehr, denn damals war das anders nicht vorstellbar und gegen jede Tradition.
Ein Beispiel für den Umgang mit der Bibel bringe ich noch zum Abschluss der Predigt:
Im Buch Genesis, dem 1. Buch des Alten Testaments, ist von der Schöpfung der Welt die Rede. In einem Schöpfungsgedicht mit sieben Strophen hat ein Dichter die Erschaffung der Welt beschrieben. Heute wissen wir, dass sich die Welt in Milliarden von Jahren entwickelt hat. Das Schöpfungsgedicht mit den 7 Tagen ist keine naturwissenschaftliche Darstellung. Dieses Gedicht ist der Fantasie eines Dichters entsprungen, aber es gibt EINEN realen Hintergrund. Er wollte sagen: „Gott ist der Schöpfer dieser Welt.“ Bei der Erstellung des Textes gab es den Beginn einer sozialen Revolution: Den Menschen wurde ein Ruhetag zugestanden. Das gilt bis heute. Die Juden feiern den Sabbat, die Christen feiern den Sonntag als Herrentag. Um diese Revolution zu unterstützen, schreibt der Dichter:
„Am siebenten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte. Und er ruhte am siebenten Tag. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn.“
Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
Heute haben wir ausprobiert, was es heißt „die Bibel nicht wörtlich, sondern ernst zu nehmen.“
Liebe Gottesdienstgemeinschaft!