Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
Es war vor vielen Jahren: Ich war damals 11 oder 12 Jahre alt. Ich war im sogenannten kleinen Seminar in Seitenstetten. Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 18 Jahren besuchten das Gymnasium, das im Stift Seitenstetten untergebracht war.
Eines Tages hatten wir in Deutsch einen Aufsatz zu schreiben zum Thema: „Was ich einmal werden will?“ Ich schrieb: „Ich möchte Priester werden.“ Und in diesem Aufsatz wurde mir ein Satz zum Verhängnis: „Ich will viel studieren, damit ich auch mit sehr gescheiten Menschen über den Glauben reden kann.“
Der Deutschprofessor verständigte den Rektor des Seminars und der holte mich zu einer Aussprache, besser gesagt zu einer Rüge. Er sagte: „Dein Aufsatz zeigt, dass du sehr stolz bist. Daher zweifle ich, ob du überhaupt zum Priester berufen bist.“
So war das damals, und man nannte das Ziel der Erziehung: Demut. Man meinte damit: Schön brav sein, nicht auffallen, nichts aus sich machen, schön bescheiden sein.
Heute nenne ich das falsche Demut. Ich glaube, Gott will, dass wir mit unseren Talenten etwas anfangen, dass wir Freude haben am Leben, dass wir Ziele haben und etwas erreichen wollen.
Alles, was ich zuvor gesagt habe, ist mir eingefallen, als ich das neue Buch von Melanie Wolfers gelesen habe. Das Buch heißt: „Freunde fürs Leben – Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein“.
Frau Wolfers schreibt über ein Leben im Glauben, im Glauben an Gott und im Glauben an sich selbst. Da geht es darum, seinen eigenen Schatten, seine Schwächen anzunehmen, sich mit sich selbst zu versöhnen, sein eigener Freund zu werden, etwas aus sich zu machen, sich am Erfolg zu freuen.
Frau Melanie Wolfers – sie ist Mitglied einer Ordensgemeinschaft – möchte durch dieses Buch erreichen, dass Menschen sich mit sich selber befreunden und mit viel Freude und Engagement ihr Leben führen.
Zu diesem Thema habe ich auch ein Schuldbekenntnis gefunden. Dieses Schuldbekenntnis hat jemand verfasst, der sich selbst nicht geliebt hat:
Christus, ich bekenne vor dir,
dass ich keinen Glauben an meine eigenen Möglichkeiten gehabt habe;
dass ich in Gedanken, Worten und Taten Verachtung für mich und für mein Können gezeigt habe.
Ich habe mich selbst nicht gleich viel geliebt wie die anderen, nicht meinen Körper, nicht mein Aussehen, nicht meine Talente, nicht meine eigene Art zu sein.
Ich bekenne,
dass ich mich nicht im Maße meiner vollen Fähigkeiten entwickelt habe,
dass ich zu feige gewesen bin, um in einer gerechten Sache Streit zu wagen,
dass ich mich gewunden habe, um Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Ich bekenne,
dass ich nicht gewagt habe zu zeigen, was ich vermag und nicht gewagt habe so tüchtig zu sein, wie ich es wirklich sein kann.
Gott unser Vater und Schöpfer!
Vergib mir meine Selbstverachtung, richte mich auf, gib mir Glauben an mich selbst und Liebe zu mir selbst.
Denn: Wer sich selbst nicht liebt, kann auch keinen anderen lieben.
Wer von sich selbst nichts hält, hält auch von anderen nichts.