Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
Auf dreifache Weise möchte ich heute von den Propheten reden. Von zwei Propheten aus der alten Bibel und von einem, der vor kurzem verstorben ist.
Propheten sind oft unbequeme Leute, sie sagen uns, was wir nicht gerne hören. Sie sind keine Wahrsager. Sie spüren nur eines: Wenn es keine Veränderung gibt, dann steuern wir auf eine Katastrophe zu. Und diese Katastrophe wollen sie unbedingt vermeiden.
So zum Beispiel der Prophet Jeremia. Er lebt in einer turbulenten Zeit. Die Könige von Israel sind schwach, sie sind vom Glauben abgefallen. Auch das Volk wendet sich vom Glauben ab. Die Einheit des Volkes Israel ist gefährdet. Israel fehlt die Kraft, es ist für seine Feinde ein leichtes Fressen.
Der Prophet Jeremia bekommt von Gott den Auftrag, einen großen Wasserkrug zu kaufen. Er soll mit den Ältesten und Priestern hinausgehen zum sogenannten Scherbentor. Dort soll er den Krug zu Boden werfen, dass er auf viele Scherben zerbricht. Damit soll er zeigen, was mit dem Volk Israel geschieht, wenn es anderen Göttern opfert. Er sagt: „Gott spricht: Ich zerbreche dieses Volk und die Stadt, wie man Töpfergeschirr zerbricht, dass es nie wieder heil werden kann.“ Ob er Erfolg gehabt hat, der Prophet? Im Gegenteil: Er wird bestraft, die Leute wollen seine Drohrede nicht hören. Das war eine Geschichte vom Propheten Jeremia.
Wir haben heute bei der Lesung von einem anderen Propheten gehört, von Jesaja (früher Iseias). Er lebt in einer ganz anderen Zeit. Jerusalem ist zerstört, die Israeliten waren in der babylonischen Gefangenschaft. Sie kehren zurück ins Land und nach Jerusalem. Es breitet sich Resignation aus. Der Prophet spürt: Die Menschen brauchen eine neue Motivation, eine frohe Botschaft, ein Trostwort. Da sagt er etwas, das wir heute genauso gut brauchen können. Es gibt ja viele Auseinandersetzungen in der Kirche, viele Engagierte resignieren, viele verlassen die Gemeinschaft. Da sind die Worte der heutigen Lesung wie ein Balsam für die Seele. „Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht. Hier ist euer Gott. Er selbst wird kommen und euch retten. In der Wüste brechen Quellen hervor und Bäche fließen in der Steppe.“ Das sind aufbauende Worte, die die Menschen damals brauchten, die auch wir brauchen.
Ein dritter Prophet: Er ist im August verstorben. Kardinal Carlo Maria Martini aus Mailand, einer der wichtigsten Autoritäten in Italiens Kirche. Martini war einer der prominentesten Vertreter einer weltoffenen und selbstkritischen katholischen Kirche. Vor seinem Tod gab er noch ein Interview. Dieses Interview ist eine Ansammlung von prophetischen Worten, für viele schockierend, aber sicher heilsam. Einige Sätze daraus: Für wen sind die Sakramente? Sie sind ein Heilmittel. Die Sakramente sind keine Instrumente zur Disziplinierung, d.h., dass man Leute straft, indem man ihnen Sakramente verweigert. Ich denke an die vielen Geschiedenen und Wiederverheirateten. Zum Beispiel: Eine Frau wurde von ihrem Mann verlassen und findet einen neuen Lebenspartner, der sich ihrer und der Kinder annimmt. Die zweite Liebe gelingt. Wenn diese Familie diskriminiert wird, wird nicht nur sie, sondern es werden auch ihre Kinder zurückgestoßen.
Die Frage, ob Geschiedene Wiederverheiratete zur Kommunion gehen dürfen, sollte umgedreht werden. Wie kann die Kirche den Menschen, dessen Beziehung schwierig oder gescheitert ist, mit der Kraft der Sakramente zu Hilfe kommen?
Dann noch eine Frage des Kardinals: Nehmen wir wahr, ob die Menschen die Stimme der Kirche zur Sexualmoral noch hören? Ist die Kirche hier eine glaubwürdige Gesprächspartnerin oder nur eine Karikatur in den Medien?
Die Kirche ist 200 Jahre lang stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? Haben wir Angst? Angst statt Mut? Der Glaube ist doch das Fundament der Kirche. Der Glaube, das Vertrauen, der Mut. Nur die Liebe überwindet die Müdigkeit der Kirche. Gott ist die Liebe.
Danke lieber Kardinal Martini!