Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
In den Jahren von 1959 – 1967 war ich im Knabenseminar in Seitenstetten. Die ersten vier Jahre im Marianum, die zweiten vier Jahre im sogenannten Adolphinum. Wenn wir im Marianum einen religiösen Einkehrtag hatten, sollten wir fromme Bücher lesen, zum Beispiel Heiligenbiografien. In kurzer Zeit hatte ich so ein Heiligenbücherl ausgelesen. Dann kam das zweite und dann das dritte. Bald aber war ich mit dieser Art von Lektüre nicht mehr zufrieden. Denn die Heiligen, die in diesen Bücherln beschrieben wurden, waren schrecklich brav und fromm. Ich habe sie für mich genannt – das durfte niemand wissen – ich nannte sie „religiöse Bleichgesichter“.
Gott sei Dank habe ich inzwischen andere Heilige kennengelernt: heilige Witzbolde, Heilige, die auf krummen Wegen zu Gott gefunden haben, Heilige, die als Jugendliche in keiner Weise gottgefällig gelebt haben.
Allerheiligen! Wir feiern heute, dass die Heiligen bei Gott leben (Wir nennen das Himmel, aber dieses Wort ist schrecklich belastet). In der Bibel steht der Ausdruck „himmlisches Hochzeitsmahl“. Dieses Bild ist für mich wunderbar. Heilige feiern, sie sind in einer großen Gemeinschaft beisammen. Sie essen und trinken und sind fröhlich. Von einem solchen Himmel möchte ich heute erzählen, eine Allerheiligenpredigt – einmal – in ganz anderer Art.
Da sitzen sie also beisammen und feiern: Und viele erzählen etwas aus ihrem Leben. Der hl. Thomas von Aquin sagt: Meine adeligen Eltern wollten, dass ich Bischof oder Papst werde. Ich aber wollte unbedingt in den Bettelorden der Dominikaner eintreten. Auf dem Weg zum Studium haben mich meine älteren Brüder gekidnappt und 2 Jahre gefangen gehalten. Die Dominikaner haben heimlich meine Flucht organisiert und so konnte ich in diesen Orden eintreten. Dann beginnt der heilige Franziskus seinen Sonnengesang zu singen und alle stimmten ein. Dann greift die heilige Cäcilia zu ihrer kleinen Orgel und begleitet den heiligen Ambrosius von Mailand bei seinem berühmten Advents-Hymnus: „Komm du Heiland aller Welt“. Die hl. Hildegard trägt auch einige Gesänge vor. Thomas von Aquin wird gebeten, die schönen Lieder vorzusingen, die er für das Fronleichnamsfest geschrieben hat. Und dann singen sie alle gemeinsam. Einige moderne Heilige haben Louis Armstrong mit seiner Trompete eingeladen und singen das Lied, das den Heiligen so gefällt: „Oh When The Saints Go Marching In“.
Nun ist die Stimmung richtig aufgeheizt. Die Heiligen fangen an, lustige Begebenheiten aus ihrem Leben zu erzählen. Philipp Neri, den man den Spaßvogel Gottes nennt, erzählt: „Ich habe einmal einen jungen Adeligen getestet, der in meine Gemeinschaft eintreten wollte. Ich wollte herausbekommen, ob er auch Spott um der Sache Jesu willen ertragen könne. Ich habe ihm einen Fuchsschwanz ans Hinterteil gehängt und gesagt, er solle so durch die Straßen Roms laufen. Er ist nicht mehr wieder gekommen
So sitzen sie beisammen, sind fröhlich und lachen. Ich glaube, so könnte man sich auch einmal die Heiligen vorstellen – als Originelle, als Suchende, die in Jesus Christus den Sinn ihres Lebens finden. Als Vorbilder, die unsere Phantasie anregen, wie wir selbst überzeugend und originell im Sinne Jesu leben können.
Heilige sind Menschen mit Schwächen aber auch vielen guten Begabungen. Heilige haben sich ganz Jesus anvertraut.
In Seitenstetten hat sich viel verändert. Es gibt weder Marianum noch Adolphinum mehr. Ich hoffe, dass auch die Heiligenbücherl entsorgt wurden. Denn eines steht für mich fest:
Heilige sind keine Bleichgesichter!
Dank an Dr. Wolfgang Raible, dessen Gedanken aus seinem Predigtbuch auch in diese Predigt eingeflossen sind.