Liebe Festgemeinschaft!
Gestern haben die evangelischen Christen ihren großen Feiertag, das Reformationsfest gefeiert. Heute feiern wir Katholiken das Allerheiligen-Fest. Seit einigen Jahren spreche ich an diesem Tag von Menschen, die zwar (noch) nicht von der Kirche als Heilige verehrt werden, die ich aber für heilige Menschen halte. Heuer gehe ich noch einen Schritt weiter: Ich spreche nicht von einem Katholiken, sondern von einem evangelischen Mitbruder.
In einem Buch wird er so beschrieben: Ein paar Mal in der Woche setzt sich ein schmächtiger Mönch mit schütterem Haar und markantenGesichtszügen zu den Leuten in die fast dunkle Kirche. Er bleibt stundenlang, um den Menschen zuzuhören, Fragen zu beantworten, gemeinsam mit den Besuchern nachzudenken und schweigend zu beten. Und wenn ihm ein junger Mensch direkt fragt: „Wer ist Christus für Sie, Bruder?“, dann sitzt er eine Weile da und sagt dann etwas ganz Einfaches: „Für mich ist Christus der, von dem ich lebe, aber auch der, den ich mit euch zusammen suche.“
Ich rede von Roger Schütz, den Gründer der Mönchsgemeinschaft von Taizé in Frankreich. Er wurde im Jahr 1915 in der Schweiz geborgen. Der Krieg und die Nachkriegszeit mit allem Schrecken veränderten den jungen Mann und ließen in ihm einen Plan reifen.
So gründete er 1949 die Gemeinschaft von Taizé (ein kleiner Ort in Frankreich in Burgund). Man muss sich das vorstellen: Ein Evangelischer gründet eine Mönchsgemeinschaft. Die Mitglieder der Gemeinschaft nennen einander Brüder und versprechen Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Frère Roger (Bruder Roger) hat keine eigene Theologie entwickelt, sondern er hat zeitlebens auf eine Versöhnung der christlichen Konfessionen hingearbeitet.
Für viele Menschen war und ist Taizé auch ein Problem. Die Leute fragen: „Sind die jetzt katholisch oder evangelisch. Es ist so: Die Katholiken, die in Taizé eintreten, bleiben Katholiken, die Protestanten, die Anglikaner geben nichts von ihrer wertvollen Tradition auf. Aber die Art, wie sie zusammenleben, könnte ein Modell für die ganze gespaltene Christenheit sein.
Roger Schütz baute die Aktivitäten der Gemeinschaft kontinuierlich aus. Seit 1951 leben Brüder aus Taizé in Gemeinschaft mit Besitzlosen in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen. Besondere Beachtung fand die Zusammenarbeit mit Mutter Teresa und ihren Sterbehäusern.
1970 kündigte Frère Roger ein „Konzil der Jugend“ an, dessen Hauptversammlung vom 28. August bis 2. September 1974 stattfand. Das Konzil machteTaizé weltweit bekannt. Besonders die Jugendlichen strömen seither in großer Zahl nach Taizé. Sie leben dort ganz einfach, helfen bei den Arbeiten mit und nehmen sich viel Zeit für Gebet, Bibelgespräch und Pflege der Gemeinschaft.
Und wovon leben die Brüder in der Gemeinschaft von Taizé? Von Anfang an haben die Brüder Spenden abgelehnt. Sie arbeiten als Drucker, Grafiker,Landwirte, Sozialarbeiter, als Psychologen oder Ärzte. Jeder nimmt sich aus der Gemeinschaftskassa, was er braucht. Überschüsse werden anMenschen gegeben, die in materieller Not leben. In allem, was in der Gemeinschaft von Taizé geschieht, spürt man die Handschrift von Frère Roger Schütz. Er hat die Gemeinschaft gegründet, sein Nachfolger führt die Gemeinschaft in seinem Sinne weiter.
Am 16. August 2005 wurde Frère Roger während des Abendgebetes von einer psychisch kranken Frau mit einem Messer tödlich verletzt.
Sein Nachfolger ist Bruder Alois, ein Katholik. Zum Abschluss ein Gebet von Frère Roger, den ich für einen Heiligen halte:
Jesus Christus, du warst immer in mir,
und ich wusste es nicht.
Du warst da,
und ich suchte dich nicht.
Als ich dich entdeckt hatte, brannte ich darauf, dass du mein Ein und Alles bist.
Ein Feuer durchglühte mich.
Wie oft aber vergaß ich dich wieder.
Und du hast nicht aufgehört,
mich zu lieben.